Der Dunst der Vergänglichkeit Das Grauen kommt selten allein

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Das Grauen kommt selten allein.
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Das Grauen kommt selten allein. Foto: Siarhei Shvaiko (CC BY-SA 3.0 unported)

2. Juni 2015
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Nach meinem Schulabschluss
lag ich monatelang, wie ein
einsamer gestrandeter Buckelwal
im Wohnzimmer
auf der Couch
aus kaltem schwarzen
Lederüberzug
und suchte
nach Antworten
in Büchern von
Dostojewski.

Ich hatte nicht wirklich
ein eigenes Zimmer
in das ich einen Rückzieher
machen konnte
und war ständig den
Augen meiner
Eltern ausgesetzt.

Meine Mutter war vollzeitbeschäftigt
und kam erst abends nach Haus
wogegen mein Vater, wie
angewurzelt
neben mir
im Sessel sass und
fernsah.

Er war vorzeitig in den
Ruhestand gegangen, da seine
Nieren bereits mit 50
ihren Geist aufgegeben
hatten.

Es ereignete sich an einem
späten Nachmittag, als ich
ihn aus heiterem Himmel
aufspringen und den
Fernseher ausschalten sah.
Darauf wandte er sich
an mich, um mir eine
Standpauke
abzuhalten.

„Menschenskind, Dana", sagte er aufgewühlt,
„so kann's mit dir wirklich nicht mehr
weitergehen ..., liegst den ganzen Tag
nur faul auf der Couch und liest
Bücher."

Seine Reaktion hat mich
vollkommen übermannt, denn
meistens sass er nur wortkarg da, -
doch jetzt türmte er sich
breitbeinig vor mir auf und
steuerte auf einen Wutanfall.

„Nein, so funktioniert aber
das Leben nicht.
Du denkst wohl, das Essen fällt
einem einfach so, - direkt in den Mund?!
Ich würd wirklich zu gern wissen, Dana, was so
alles nur in deinem Schädel vor sich geht.
Wie stellst du dir das alles nur vor?!
Steh auf und geh dir endlich
einen Job suchen. Ich hab
es satt dich hier ständig
auf der Couch
rumliegen zu sehen."

Seine Stimmung schaukelte
sich immer weiter hoch, während
sich sein Brustkorb
vor lauter Aufregung und
bei jedem erneuten Atemzug
immer schneller
sank und hob.
Wutentbrannt
stand er nun
mitten im
Wohnzimmer
und aus seinen
Mundwinkeln
trat der Speichel
schäumend hervor.

„Heb deinen faulen Arsch
von der Couch und zieh Leine!"
Ich war 17, und, -
total orientierungslos.

„Also, wird's bald! Hoch mit dir!
Setzt dich endlich
in Bewegung! Na, mach schon ...
Mach endlich das du hier
raus kommst!
Ich musste mir meine
Brötchen auch selbst
hart erarbeiten.
Hältst dich wohl
für ne Prinzessin, - was?!
Du kannst doch nicht ständig auf
der faulen Haut rumliegen, während
die ganze Welt arbeiten geht!"

Ich legte mein Buch beiseite und
stand wortlos auf: Ihm zu
widersprechen, wäre ja doch
zwecklos gewesen.

Darauf begleite er mich
bis zum Gang, wo
meine Schuhe auf
mich warteten, während
er nicht aufhörte
auf mich einzureden.

„Und komm mir
ja nicht ohne einen
Job nach Haus! ..."

Ich zog mir die Schuhe an,
stürzte wie ein
verdroschener
Hund die Treppe hinunter,
schwang mich
aufs Fahrrad und
radelte ziellos
umher.
Ich hatte wirklich nicht
den blassesten Schimmer,
wo ich jetzt noch um
diese Uhrzeit
einen Job
auftreiben konnte.

Doch nachdem ich mich einige Kilometer
abgestrampelt hatte, drängte
sich mir plötzlich jener hässlich
ergraute Klotz eines katholischen
Altenheims auf.

Tja, wenn das kein Zeichen
ist, dachte ich und steuerte
auf das trostlose
Gebäude zu.

Am Ziel angelangt, sprang
ich vom Sattel und stellte das
Rad nahe der Hauswand ab. Doch
als ich die Eingangstür aufriss, schlug
mir auch schon jene Duftnote aus
wabernden Gerüchen
von Exkrementen und Mittagessen
kaltschnäuzig ins Gesicht.
Die Kacke hört wohl nie auf
zu Dampfen, schoss es
mir durch den Kopf, während
meine ausgelatschten Turnschuhsohlen
auf die grossflächig angelegten, grafitfarbenen,
Quadratsteinplatten in der Eingangshalle klatschten.
Ausser den Wänden, die
durch ihren weissen Anstrich
wenigstens noch ein bisschen
Wärme zu vermitteln versuchten,
lösten die schattenbesetzten
Innenräume und das
schwarz polierte Treppenhaus
eher ein heftiges Unbehagen in
mir aus, welches mich nach
jeder erklommen Stufe
immer enger in
dessen Schraubstock
spannte.

Am Ende aller Tage wird wohl
das Fegefeuer - in Form eines
düsteren Treppenhauses - auf
uns alle warten, dachte ich
beklommen, während ich nach dem
Pflegepersonal Ausschau hielt.

Eine gespenstische Atmosphäre
der erdrückenden Ruhe schien sich
von jedem Winkel dieses
seelenlosen Hauses
auszubreiten.

Auf dem Treppenabsatz des
1. Stockwerks, bemerkte ich
auf einmal - rechts um
das Treppengeländer herum -
eine schwarze Holztür, die
sperrangelweit offen stand.

Mein Augenmerk fiel auf eine
weiss gekleidete Nonne, Mitte 50, die
in gebückter Haltung neben einem
Medikamentenschrank mit Pillen
und Döschen hantierte, und die, als sie
mich im Türrahmen stehen sah, ihre Arbeit abrupt
unterbrach und neugierig
aufsah.

„Ja?", sagte sie in nem
barschen Tonfall.

„Ahm, ich brauch dringend
en Job, hätten Sie da
vielleicht etwas für mich?"

Von den Haarwurzeln
bis hin zu den Fusssohlen
begann mich die Ordensschwester
aufs genauste zu begutachten, während,
wie ich annahm, die Aussicht
auf diesen Job mit jedem ihrer
einhergehenden
Wimpernschläge
zu schwinden drohte.

„Ja ...", setzte sie im scharfen
Tonfall weiter fort, „gewiss ..., unser
Haus könnte durchaus noch ne
Hilfskraft gebrauchen."

„Ach ja ...?!", antwortete ich, und war
über die spontane Zusage völlig
überrascht. „Und ...
wann soll ich anfangen?", fragte ich
verwundert.

„Na morgen am Besten", antwortete sie,
fast schon etwas gleichgültig: „Die
Frühschicht beginnt bereits um 7."

„Schon morgen?"

„Ja, was denn nun", sagte sie, „ich dachte
Sie wollten arbeiten?"

„Sicher", entgegnete ich. „Okay, bis
morgen dann."

„Auf Wiedersehen; und bitte
pünktlich erscheinen", rief sie mir hinterher.

Wieder so ne Tretmühle,
in die ich hinabsteige,
kreisten meine Gedanken,
während sich der
beizende Dunst der
Vergänglichkeit und Ausscheidung
mit beharrender Ausdauer
durch meine Nasengänge
wühlte, um mir im Zuge
eines frotzelnden
Lachkrampfs, einen
Stepptanz nach dem
anderen abzuliefern,
in jener tiefsten
Abgeschiedenheit
meiner empfindsamen
Geruchsbahnen, wo jetzt
meine Sinneszellen
blank lagen, und sich
angesichts der Tyrannei
ne Zeit lang, buchstäblich
übergaben, was mir
in memoriam eine
Gänsehaut bescherte.

Zvezdana Bueble

Zvezdana Bueble